Warum man keine Angst vor Haien haben muss
Es ist der eine große Mythos, der wohl für immer mit dem Tauchen verbunden bleiben wird. Ebenso mit allen anderen Aktivitäten, die im Meer stattfinden: Die Angst vor Haien. Der Hai, das große Ungeheuer, das man nicht einschätzen kann, aus der Tiefe, in die man nicht blicken kann. Doch fast genauso alt wie die Angst vor Haien ist die Diskussion, ob diese eigentlich begründet ist. Muss man eigentlich Angst vor Haien haben? Wir haben uns dieser Fragestellung einmal tiefgehend gewidmet und fühlen einmal allen Mythen, Gerüchten und vermeintlichen Tatsachen auf den – Achtung, Wortwitz – Zahn.
Seit dem Menschen über das Meer denken, schreiben, erzählen oder filmen, ist diese eine Geschichte ein ständiger Begleiter: Die Angst vor dem Hai, der aus der Tiefe kommt und den ahnungslosen Schwimmer, Schnorchler oder Taucher tötet. Der Mensch ist sehr empfänglich für dieses Narrativ. Und wie könnte er auch anders? Schließlich beinhaltet die Vorstellung vom Raubtier aus der Tiefe sehr viele Inhalte, die Urängste in uns auslösen. Die Konfrontation mit einem übermächtigen Wesen. Die Bewegung auf einem Terrain, auf dem wir nicht zuhause sind – das übermächtige Wesen aber schon. Eine Bedrohung, die wir nicht kommen sehen oder hören. Verhaltensmuster, die den unseren Fremd sind. Ein Jäger, mit dem man nicht verhandeln kann. Mangelnde Geschwindigkeit, um zu entkommen. Unten stehen in der Nahrungskette. Messerscharfe Fangzähne, bewegt mit tonnenschwerer Beißkraft – ohne weiteres in der Lage, Gliedmaßen vom menschlichen Körper abzureißen. All das ist summa summarum der Stoff, aus dem echte Alpträume gestrickt sind.
„Der Weiße Hai“ als Mastertrigger aller Urängste
Kein Wunder, dass die Populärkultur diesen Topos nur allzu gern in diversen Genres aufgreift. Und so sind wir bereits mitten in der Beantwortung der Frage, warum wir eigentlich Angst vor Haien haben. Hier können wir nicht umhin, auf die wohl populärste Verarbeitung dieses Grusels in der Populärkultur zu sprechen zu kommen: Ohne Zweifel Stephen Spielbergs meisterhafter Spielfilm „Der Weiße Hai“ (im Original: „Jaws“) von 1975. Die Verfilmung von Peter Benchleys Roman begründete nicht nur den „Creature Horror“, sondern setzte weit über die Genre-Grenzen hinaus neue Maßstäbe in der Filmindustrie und wurde nicht zufällig mit drei Oscars ausgezeichnet.
In Spielbergs erst drittem unter professionellen Bedingungen gedrehten Spielfilm werden mehrere Schwimmer in einem fiktiven Badeort an der US-amerikanischen Ostküste von einem mysteriösen Hai angegriffen und getötet. Sheriff Martin Brody, dargestellt von Roy Scheider, hat ironischer Weise selbst Angst vor dem Wasser und zeigt sich zunehmend skeptisch bezüglich des Vorgehens der Lokalpolitiker. Diese versuchen die Angriffe wahlweise zu relativieren oder zu vertuschen, um die Einnahmen nicht zu gefährden. Schließlich lebt das kleine Örtchen in erster Linie von den „Sommerdollars“. Doch als immer mehr Menschen streben, kann es irgendwann auch der Bürgermeister nicht mehr leugnen: Es sind keine kleineren Haie und keine Verkettung unglücklicher Umstände am Werk. Die Ursache ist ein gigantischer Weißer Hai.
Sheriff Brody macht sich schließlich gemeinsam mit Haifänger Quint (Robert Shaw) und Meeresbiologe Matt Hooper (Richard Dreyfuss) auf die Fahrt, um sich dem Tier in einem Nervenaufreibenden Kampf zu stellen. Die finale Konfrontation zieht sich über mehrere Tage, ist bis heute unerreicht und machte den damals jungen Stephen Spielberg zu einem der bekanntesten Regisseure in der Geschichte Hollywoods.
Dieses filmische Meisterwerk hat gewissermaßen das Sub-Genre der Hai-Filme begründet, das bis heute in diversen Ausprägungen zahllose Ableger hervorgebracht hat. Da wären aufwendige Hollywood-Blockbuster wie „Deep Blue Sea“, sehr nahbare Schocker wie „The Reef“ oder auch ein sehr ausgedehntes Trash-Regal mit Titeln wie der „Sharknado“ Reihe, „Sharks in a Mall“ oder „Sandsharks“. Mit „Hai-Alarm auf Mallorca“ wurde 2004 sogar ein deutscher Ableger produziert.
Haien wird häufig Unrecht getan
Einigen Filmemachern reicht auch die ohnehin einschüchternde Größe eines Weißen Hais nicht aus und es wird auf urzeitliche Arten abgestellt, wie etwa bei der „Meg“ Reihe. All diese Machwerke bedienen die Urangst des Menschen vor dem grausamen Biest aus der unergründbaren Tiefe. Künstlerische und/oder dokumentarische Darstellungen von Haiangriffen sind allerdings schon weitaus älter als das Medium Film. Sie reichen zurück bis in die griechische Antike.
Heute ist es allerdings längst auch schon Konsens, dass den Haien bei all den Schauergeschichten, die um die Welt gegangen sind, jedoch häufig auch Unrecht getan wird. Nicht nur militante Naturschützer haben erkannt, dass die Tiere gar nicht so gefährlich sind, wie es häufig im kollektiven Bewusstsein abgespeichert ist. Im Gegenteil. Nicht wenige stellen mittlerweile längst die Frage: Hai und Mensch – wer bedroht eigentlich wen? Der Weiße Hai hat, im Gegensatz zum einen oder anderen possierlicheren Tier, das ebenfalls bedroht ist, in vielen Kreisen heutzutage durch sein Image als menschenfressendes Monster schlichtweg keine Lobby. In einigen Teilen der Welt gelten Haie oder Teile der Tiere als Delikatesse, weshalb mancherorts eine geradezu wahnwitzige Fischerei stattfindet.
Die Situation nüchtern einzuschätzen, ist allenthalben gar nicht so einfach. Natürlich werden jene basalen Ängste, von denen wir zuvor Sprachen, automatisch getriggert, sobald wir in den Nachrichten lesen, dass Haie einen Surfer, einen Taucher oder einen Schwimmer vor Hawaii oder Australien angegriffen, verletzt oder sogar getötet haben. Die Vorstellung, dass ein Traumurlaub, bei dem man im türkisblauen Meer schwimmt, plötzlich zum Alptraum wird, lässt uns verkrampfen. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigt der Haiforscher Simon Weigmann, dass bei der sogenannten Squalophobie, so der wissenschaftliche Begriff für die Angst vor Haien, verschiedene Aspekte zusammen kommen: Nicht sehen zu können, was aus der Tiefe kommt.
Filmische Darstellungen als Bestien aber natürlich auch ihr furchteinflößendes Äußeres mit einer enormen Körpergröße und sehr großen, scharfen Zähnen. Viele Menschen fürchten sich auch vor der Vorstellung, verschlungen zu werden, was laut Weigmann bei vielen Menschen einen größeren Schrecken auslöst als beispielsweise durch einen Stich zu sterben. Die Angst, bei lebendigem Leib gefressen zu werden, wird wissenschaftlich übrigens Phagophobie genannt.
Lottogewinn ist viel wahrscheinlicher als Hai-Angriff
Ein probates Mittel gegen solch abstrakte, schwer greifbare Ängste sind nüchterne Zahlen. Lassen wir also am besten mal solche sprechen. Fakt ist, dass die allermeisten Menschen auf der Welt niemals auf Haie treffen werden. Oder zumindest denken sie das. Im Florida Museum of Natural History befindet eine Datenbank zu Haiangriffen, die ISAF (International Shark Attack File). Dieses geht von rund einer Millionen Interaktionen zwischen Mensch und Hai pro Tag aus. Im Verhältnis dazu mutet die berichtete Zahl von 80 bis 90 nicht provozierten Angriffen durch Haie im Jahr geradezu verschwindend gering an. Jährliche Angriffe, bei denen Menschen ernsthaft zu Schaden kommen, kann man an zwei Händen abzählen. Wenn man sich überlegt, wie präsent jeder dieser Vorfälle in den Medien ist, wird klar: Millionen Menschen schwimmen irgendwann einmal in Reichweite eines Hais, doch solange sich keine charakteristische, aus diversen Piratenfilmen bekannte Rückenflosse nähert, merken diese Menschen dies überhaupt nicht.
So ist dann auch einmal die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs durch Haie errechnet worden. Sie liegt bei 1:3.748.067. Zum Vergleich sei gesagt, dass es siebenmal wahrscheinlicher ist, im Lotto fünf Richtige plus Superzahl zu tippen. Diese geringe Wahrscheinlichkeit hat ihren Grund. Menschen sind nämlich keine typische Beute für Haie. Leider verwechseln manche Haiarten Menschen, die vorbei schwimmen manchmal mit ihrer sonstigen Beute und machen dann sogenannte „Testbisse“. Diese können dann im schlechtesten Falle auch tödlich enden. Doch in den meisten Fällen verhalten Haie sich passiv, wenn ein Mensch in ihrer Reichweite schwimmt beziehungsweise sie ignorieren diesen. Was man häufig übersieht: Haie sind deutlich stärker durch den Menschen gefährdet, als umgekehrt.